Arthur Feiner, ein Porträt, nachgezeichnet aus seinen Briefen

Erinnerungen an Wittlich

Kategorie: Arthur Feiner

Arthur Feiners Erinnerungen an Wittlich belegen eine tiefe Verbundenheit mit der Stadt seiner Vorfahren. So schreibt der 84-Jährige im Januar 1992:

„Ich liebte die kleine Stadt Wittlich, in der ich die Jahre des ersten Weltkrieges und auch später die großen Schulferien bei meinen Großeltern und meiner Tante (Johanna) verbrachte. Ich erinnere mich an die engen Gäßchen der Oberen, Mittleren und Unteren Kordel, an die Gassen hinter der ehemaligen Mauer, an den schönen Marktplatz und an all die anderen Straßen mit Geschäften aller Art. An die Viehmärkte auf dem Schloßplatz, an meine Spaziergänge auf dem Afferberg, die Philippsburg und die alte, oft sehr steile Landstraße (…)

Ich sehe mich noch, am Rand des Grünewalds sitzend, in das Wittlicher Tal hinabsehen und von der Zukunft träumen. Ich erinnere mich auch an den Steinbruch im Mundwald und an die Reste der Römischen Villa; an den Lieserpfad, der an den Mühlen vorbei bis nach Manderscheid führte. Und all die kleinen Dörfer mit dem Gackern der Hühner und dem Muhen der Kühe! (...) All diese friedvollen Bilder aus einer Zeit, die verschwunden, aber nicht verloren ist, kann ich noch zurückrufen.“

Wittlichansicht 1920 Kann 800

 

Es folgen Beschreibungen zum Haus der Großeltern Simon und Karoline Feiner.
Arthur Feiner war sicher kein rührseliger Mensch, auch nicht im hohen Alter. Er fragt sich unmittelbar selbst:

Karoline Feiner Mutter 800„Klingen meine Erinnerungen falsch, unerfahren und einseitig? Vielleicht. Aber trotzdem will ich sie hegen. Wissen, hören und sehen wir heute zu viel? Und wir fließen über und sind am Ende - - - leer?“

In diese scheinbare Erinnerungssentimentalität mischen sich zudem ernste Töne, wenn er schreibt, wie gerne er den Beruf des Försters ergriffen hätte,

„aber man sagte mir, daß man mich als Jude nicht in die Försterschule aufnehmen würde.“

Zu der oft behaupteten „Integration“ der Wittlicher Juden in die Gesellschaft der Stadt merkt Feiner an:

„Das war immer ein bedrückendes Gefühl, das ich empfand im Zusammenleben mit den anderen Wittlichern, eine gewisse Verachtung und Absonderung wegen der jüdischen Religion. Als kleiner Junge war das für mich unbegreiflich. Ich wusste, daß wir so lange in Wittlich wohnten wie jeder andere, ich sprach Wittlicher Platt wie jeder andere. Hochdeutsch klang für mich geziert und affektiert. Und dann kam später neben der religiösen Überheblichkeit, die leider allen organisierten Religionen eigen ist, noch Hitlers Rassenwahn hinzu. Das ist der Alpdruck, der über mich kommt, wenn ich an mein Leben in Deutschland zurückdenke.“

Von Verbitterung findet sich in Arthur Feiners Briefen nach Wittlich aber keine Spur – im Gegenteil immer wieder anerkennende und aufmunternde Worte für die Dokumentations- und Erinnerungsarbeit. Nicht nur für ihn, auch für die meisten jüdischen Briefpartner in USA, Israel und anderen Ländern war es von nicht unerheblicher Bedeutung, dass die Wittlicher Partner unbelastete „Nachgeborene“ waren, denen man sich durch die Schilderung des eigenen Familienschicksals anvertraute.

„Jetzt scheint eine neue Zeit angebrochen zu sein. Nur das Bekennen des Unrechtes kann den Alpdruck des Schweigens von der Seele nehmen.“ (Brief vom 21. Dezember 1988).

An den Vorbereitungen zur Austellung „Jüdisches Leben in Wittlich“ (1990) und dem Besuch der Exilierten 1991 nimmt Feiner aus der Ferne regen Anteil.

„Die Ausstellung und die Begleitveranstaltungen sprechen von dem, was war, was nimmer sein wird und was geblieben. Sie spricht von dem Mut und den vielen Stunden mühevoller Arbeit, ein Mosaik der früheren jüdischen Gemeinde zusammenzustellen, die ein Teil des Lebens in der Stadt Wittlich war. Es bleibt ein unvollständiges Mosaik, da so viele Teile fehlen. Seine Seele können wir nur ahnen.“

Sein Antwortbrief auf die Schilderungen vom Besuch der ehemaligen Wittlicher Juden charakterisiert den Menschen Arthur Feiner in unverkennbarer Weise:

„Vielen Dank für Ihren lustigen Brief. Er atmet die Erleichterung, die Sie fühlten, daß der Besuch zur Zufriedenheit für alle Teile abgelaufen ist. Es muß nicht leicht gewesen sein, mit so alten Menschen, die Jugendliche waren, als sie Wittlich verließen, zusammen zu sein. Ich versuchte auf den Bildern einige Gesichter wiederzuerkennen, aber Schicksal und Alter hatten ihre Arbeit getan, die jugendlichen frischen Augen und Züge in Fremdheit zu verwandeln. Auf dem Friedhof sehe ich sie die Toten zurückrufen in ihre Erinnerung, wie sie damals waren. Und plötzlich wird ihnen klar, so klar wie eine Erscheinung, daß sie hier nur Gäste sind, daß sie die Toten lassen müssen bei den Toten, daß sie morgen zum zweiten Mal wegwandern müssen, daß die Straßen bleiben werden als die Hüter ihrer Kindheit, daß die Straßen weiterhin ihren Weg schlängeln werden, daß ihre Schritte hallen in der Gegenwart, aber wandeln in der Vergangenheit. Sie sind wie Kinder vor dem Schaufenster eines Zuckerladens, die Augen voller Sehnsucht und Verzicht im Herzen.“


Franz-Josef Schmit
Erstveröffentlichung: Jahrbuch des Kreises Bernkastel-Wittlich 2010, S. 301 – 304.

Foto: Otto Kann