Familie Carl Hess

Entlassen, vertrieben und ausgeplündert

Kategorie: Familie Carl Hess
Von Franz-Josef Schmit
Am 30. Mal 1891 in Wittlich geboren, hat Dr. Carl Hess, Sohn des jüdischen Zigarrenfabrikanten Gottfried Hess, in Mainz als Bankdirektor Karriere gemacht. Doch wegen seiner jüdischen Herkunft wurde ihm gekündigt. Über Umwege führte sein Weg nach New York, wo er am 12. April 1953 starb.Wittlich.

Im Februar 1949 schreibt Matthias Joseph Mehs einen Brief nach New York. Der Empfänger ist für den damaligen Wittliclıer Bürgermeister ein guter Bekannter: Dr. Carl Hess, Sohn des Wíttlicher Zigarrenfabrikanten Gottfried Hess und erstes jüdisches Mitglied der „Vitellía“, einer von Mehs im Jahr 1910 gegründeten studentischen Ferienverbindung.
Mehs hat zwar für die Stadt die Grundstücks- und Häusergeschäfte des Hess-Anwesens in der Kurfürstenstraße zu regeln, aber was ihm eigentlich auf der Seele brennt, macht den Hauptanteil seines Schreibens aus, in dem es unter anderem heißt:

„Was ist seit 1933 nicht alles über unser Land hinweggebraust Wie tief und verheerend ist das Böse in unser Volk eingedrungen! So tief, dass es fast nicht mehr auszutreiben, ja auszubrennen ist! Wenn wir doch einmal zu Verstand kämen! Nur in unserem politisch verbildeten Volk war - und ist noch - solcher Unsinn und Wahnsinn möglich. Meine Aufgabe sehe ich darin, möglichst behutsam, aber fest und ohne Zucken den geraden Weg in die Demokratie zu gehen und dafür zu sorgen, daß wenigstens in Wittlich wieder alles, vor allem inden Köpfen, in Ordnung kommt."

Nach dem Jurastudium, unterbrochen vom Einsatz als Soldat in Russland, hatte Carl Hess in Heidelberg promoviert und für kurze Zeit unentgeltlich am Amtsgericht in Wittlich gearbeitet, Die Chancen auf eine Festanstellung im Staatsdienst waren zu Beginn der Weimarer Repııblik schlecht, und der Unternehmersohn findet für sich einen anderen Weg.

Ellen Maria Dr C Hess 500Ab Sommer 1919 wohnt Dr. Hess in Mainz und leitet schon wenig später eine Filiale der Deutschen Disconto-Gesellschaft, - einer Bank, die später mit der Deutschen Bank fusioniert. Dr. Hess heiratet 1925 die aus Nürnberg stammende Ellen Maria. Die beiden Kinder Fritz und Ursula kommen 1928 und 1932 in Mainz zur Welt. Der Bankdirektor verdient ordentlich.
Getrübt wird das private Glück vor allem durch den frühen Tod der einzigen Schwester Paula 1932. Sie hatte in Landau einen Fabrikanten für Zündhölzer geheiratet und war Mutter zweier Kinder.

Pensionsansprüche abgewehrt

Ende 1935 wird Dr. Hess in die Berliner Zentrale der Deutschen Bank einbestellt. Mit dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze war der Weg frei, die jüdischen Direktoren und Bankangestellten zu entlassen. Doch das Institut besteht darauf, dass Dr. Hess von sich aus kündigt. Es müsse damit gerechnet werden - so die offizielle Begründung -. dass Bankdiener und Sekretärinnen sich weigern, das Zimmer eines Juden zu betreten.

Noch im Jahr 1958 hält der Konzem an der Version von der „freiwilligen Kündigung fest. Damit waren jegliche Pensionsansprüche abgewehrt. Diese erneute Schmähung musste nur noch die Witwe von Dr. Hess ertragen, denn er selbst war schon im April 1953 nach schwerer Krankheit in New York gestorben.

Nach dem Rauswurf verlässt die Familie Hess Mainz und zieht nach Hamburg. Eine Rückkehr ins Bankfach gibt es auch in der Großstadt nicht mehr. Dr. Hess und seine Frau begeben sich Anfang 1938 zu einem Erholungsurlaub in die Schweiz. Schon bald wird dem Ehepaar klar, dass es kein Zurück mehr nach Deutschland geben kann.Die Schwiegereltern in Hamburg bringen die beiden Kinder in die Fam C Hess Schwiegereltern Schweiz 500Schweiz und mit Unterstützung von Verwandten gelingt zum Jahresende die Einwanderung in die USA. Als die Behörden merken, dass die Familie nicht mehr in Hamburg lebt, wird die komplette Wohnungseinrichtung versteigert und das Vermögen des Bankdirektors gesperrt. Ein Großteil seiner Wertpapiere wird zur Begleichung der „Judenvermögensabgabe“ nach dem Novemberpogrom ab Januar 1939 in fünf Raten eingezogen. Einen Betrag von über 107 000 Reichsmark überweist sich das Finanzamt Berlin-Moabit als „Reichsfluchtsteuer“. Mit der offiziellen Ausbürgerung 1941 fallt das Restvermögen an das NS-Regime.

Wirtschaftlich am Boden

Wirtschaftlich kommt Dr. Hess nicht mehr auf die Beine. Ein Export-Geschäft mit zwei dubiosen Partnern wirft kaum Gewinn ab, und Anfang 1950 ist er bankrott. Freunde von früher treffen in New York auf einen völlig veränderten Menschen, depressiv und ohne Lebensfreunde. Frau Hess beginnt, ihr Leben und das ihrer Familie neu zu organisieren. Nach einer Ausbildung zur Buchhalterin ist sie in der Lage, sich und ihre Kinder sowie ihre inzwischen eingetroffenen Eltern durchzubringen. Fritz wird Chemieingenieur und Ursula studiert europäische Geschichte. Später wird sie eine Verleihfirma für Dokumentarfilme gründen.
Die „Wiedergutmachungszahlungen“ aus Deutschland Anfang der 60er Jahre erleichtern das Leben - doch davon konnte der aus dem Amt gejagte Bankdirektor selbst nicht mehr profitieren.
veröffentllicht im Trierischen Volksfreund 2./3. Februar 2013