Herta Exiner, geb. Marcks

"Ad meah veesrim"...

Kategorie: Herta Exiner

Geboren wurde Herta Exiner (geborene Marcks) mitten irn Ersten Weltkrieg. Wenige Tage vor ihrer Geburt am 28. Februar 1916 hatte der Angriff auf die Forts um Verdun begonnen, mit dem die deutsche Heeresleitung die Entscheidung erzwingen wollte. Herta erlebte als Kind die Not der Nachkriegsjahre, obwohl sie in relativ gesicherten Verhältnissen aufwuchs: Ihr Vater Daniel Marcks war mit seiner aus Ahrweiler stammenden Frau Berta (geborene Heymann) von Köln nach Wittlich gekommen und hatte mit seinem Schwager Emil Bär im Jahr 1904 das gut eingeführte Textilgeschäft von Markus Sommer in der Trierer Straße übernommen. Im Haus Nummer 22, als Geschäfts- und Wohnhaus genutzt, waren schon Hertas ältere Schwestern Hilde (1909) und Liesel (1913) zur Welt gekommen.

Zunehmende Anfeindungen

Nach dem Besuch der jüdischen Volksschule und der Höheren Töchterschule in Wittlich folgte Herta ihrer Schwester Hilde nach Trier auf das Auguste-Viktoria Gymnasium (AVG), während Liesel als einziges jüdísches Mädchen aus Wittlich 1932 a.n der Cusanus-Schule ihr Abitur ablegte. Schon bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erlebte auch Herta, was sich in Erinnenıngen vieler jüdischer Schüler fest eingeprägt hat: zunehmende Anfeindungen durch Mitschüler und Lehrer, so dass an ein geregeltes Lernen für jüdische Kinder nicht mehr zu denken war. Hertas ältere Schwester Hilde verließ das AVG und besuchte eine Schule in Nancy. Sie selbst kehrte nach Wittlich zurück. In einem Brief nach Wittlich schrieb Herta;

Mein Vater litt seelisch, wenn die SA-Truppen morgens früh an unserem Haus vorbeimarschierten und ihre Lieder sangen. Ich kann den Boykott am 1. April 1933 nicht vergessen, an dem SA- Männer vor unserem Geschäftshaus standen.“

Als ihr in Wittlich hoch geachteter Vater Daniel Marcks, langjähriger Repräsentant der Syrıagogengemeinde, Leiter des Synagogenchores und Mitglied in der Schuldeputation sowie im Verein für städtische In- teressen, Ende 1937 stirbt, zieht Herta mit ihrer Mutter Berta im Frühjahr 1938 zu Verwandten nach Köln. Schwester Liesel hatte ihr Medizinstudium in Bonn Ende 1933 abbrechen müssen und war nach England emigriert, wo sie sich zur Hebammenschwester ausbilden ließ. Sie kam im Mai 1937 als Erste ihrer Familie nach Palästina und heiratete den Architekten Joachim Cohen. Tochter Judith wurde im Oktober 1940 geboren. In der Anonymität der Grostadt Köln überstanden Herta und ihre Mutter den Novemberpogrom 1938 weitgehend unbeschadet. Hilde, die Alteste der „Marcks- Mädchen“, hatte im Februar 1933 in Wiesbaden den aus Hamm/ Sieg stammenden Diplomkaufmann Kurt Hirsch geheiratet. Der erste Sohn Stefan wurde 1936 in Köln geboren und arbeitete später als Psychiater. Mit ihm verließ das Paar noch rechtzeitig Deutschland Richtung Palästina, um 1940 in die USA überzusiedeln. lm Jahr 1943 kommt der Sohn Gordon zur Welt. Er lehrt bis heute als Professor für englische Literatur an der Universty of Minnesota.

Abenteuerliche Schifffahrt

Nach dem Tod ihres Mannes Kurt,zog Hilde Hirsch zu ihren Schwestern nach Israel, wo sie im März 1975 im Alter von 65 Jahren starb. Fünf Jahre zuvor war in Haifa auch ihre Mutter Berta Marcks-Heymann gestorben, der noch in den 1940er Jahren die Flucht aus Nazideutschland über Kuba vor allem mit Hilfe ihrer Tochter Hilde und deren Mann Kurt Hirsch in die USA gelungen war. Herta erreichte nach einer mehrmonatigen abenteuerlichen Schifffahrt auf dem Getreidetransporter „Hilda“ zusammen mit 728 weiteren Flüchtlingen Palästina. Den als illegal geltenden Flüchtlingen winkte im Gelobten Land nicht die Freiheit, sondern die Internierung im Lager „Athlit“, das von der britischen Mandatsregierung zur Beschränkung der jüdischen Einwanderung eingerichtet worden war. Herta, von Beruf Säuglingsschwester, heiratete im Juli 1946 den aus Berlin stammenden Herbert Exiner, dessen Eltern 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet worden waren. Sohn Dan und Tochter Ruth werden 1947 beziehungsweise 1954 in Israel geboren. Herbert Exiner hatte die medizinische Vorprüfung 1933 noch bestanden. Dann war Schluss: er musste die Berliner Universität verlassen und konnte, wie viele aus Deutschland vertriebene Akademiker, in Israel seine Familie nur mühsam über Wasser halten. Er kämpfte in der zionistischen Untergrundarmee „Hagana“, verwaltete die ständig knappe Kasse der „Carmeli“-Brigade und avancierte schließlich zum Offizier der neu eingerichteten Israel Police. Im Herbst 1957 kehrte der inzwischen 45-Jährige mit seiner Familie nochmals nach Deutschland zurück, um sein Medizinstudium abzuschließen. Ab Herbst 1960 lebte die Familie Exiner dann aber wieder in Haifa - ein Leben im „Land der Täter“ war trotz guter Freunde im Rheinland keine ernsthafte Option.

Bewegende Begegnungen

Als die Stadt Wittlich im Mai 1991 ehemalige Wittlicher Juden zu einer Besuchswoche eingeladen hatte, waren auch Herta und ihr Mann sowie Liesel mit ihrer Tochter Judith dabei. Die bewegenden Eindrücke dieses Wiedersehens mit früheren Freunden und ihrer Geburtsstadt hat Herta in mehreren Briefen nach Wittlich mit Worten großer Dankbarkeit festgehalten. Nach dem Tod ihres Mannes 1994 zieht Herta Exiner in ein Seniorenheim in Haifa, wo sie noch heute lebt. Das Gehen und Lesen bereiten der zweitältesten Bewohnerin des Hauses Mühe. Ihre Gedanken sind hellwach und am Telefon plaudert die alte Dame lieber über ihre reichen Erinnerungen als die Mühen des Alters. Die Geburtstagswünsche von Freunden aus Wittlich, von Bürgermeister Rodenkirch und Professor Gradl, Direktor des Emil- Frank-Instituts, werden die Jubilarin rechtzeitig erreichen: „Ad meah veesrim!“ (bis hundert- zwanzig Jah`re!) lautet ein hebräischer Glückwunsch.


 Franz-Josef Schmit

erste Veröffentlichung im Trierischen Volksfreund 28.02.2015

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