Jüdische Geschäfte und Betriebe

Sigmund Haas

Kategorie: Viehhandel

 Sigmund Hass Viehhandel 1000

 

Familie Haas aus Hetzerath

Sigmund Haas, in Hetzerath 1891 als Sohn des Bäckers Marx Haas und seiner aus Trittenheim stammenden Frau Veronika geboren, war das dritte von sieben Kindern. Im Herbst 1920 heiratete Sigmund die drei Jahre jüngere Therese Simon aus Wasserliesch. Das Wohnhaus mit Stallungen für den Viehhandel stand in der Hauptstraße.

Wohnhaus Familie Haas Hetzerath 350Sigmund Haas mit Ehefrau Therese und den Kindern Günter und Veronika Irmgard 239bVeronika Irmgard mit ihrem Bruder Günter in Hetzerath 239Gideon And Threse 239

Das Paar bekam zwei Kinder. 1922 wurde Veronika Irmgard geboren. Nach der Volksschule hatte sie die private Handelsschule Scheuer in Trier besucht. Als diese von den Nationalsozialisten geschlossen wurde, blieb sie zu Hause – eigentlich wollte sie Krankenschwester werden. Veronika Irmgard unterhielt auch nach der Flucht aus Deutschland Kontakte zu früheren Freundinnen und war auch wiederholt in ihrem Geburtsort, so auch 1985 mit ihrem Neffen Yoram. Aus der 1947 geschlossenen Ehe mit Gerd Neustadt stammen zwei Söhne, die in der Bundesrepublik studierten, als die Familie später etliche Jahre (1975-1987) in Düsseldorf wohnte. Amnon Neustadt/ Noy promovierte, publizierte mehrere Bücher, in denen er sich kritisch mit dem schwierigen deutsch-israelischen Verhältnis nach Auschwitz auseinandersetzte. Er gehörte in den 1980er Jahren zu den Mitbegründern des Jugendforums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V. und engagierte sich für den Jugendaustausch beider Länder. Zeitweise arbeitete er in der Israelischen Botschaft in Bonn. Amnon starb 2003 in Canada an Krebs und hinterließ Frau und zwei Kinder. Der zweite Sohn von Veronika Irmgard, Uri Neustadt, lebt in Düsseldorf. Veronika Irmgard kann leider 

Sigmund Haas Enkel Uri in Israel 239Familie Haas2 239nicht mehr befragt werden – im Alter litt sie unter Alzheimer und ist am 9. März 2019 hochbetagt in Israel gestorben. Ihr Bruder Günther, der sich in Eretz Israel Gideon nannte, kam 1929 in Hetzerath zur Welt. Ein Studium blieb ihm verwehrt. Nach der Mittelschule lernte er Schlosser und arbeitete bis zu seinem Ruhestand als Busfahrer und Fahrlehrer bei den Nahverkehrsbetrieben in Egged. Über Jahrzehnte wollte er mit seinem Geburtsort nichts mehr zu tun haben – vor zwei Jahren besuchte Gideon jedoch Hetzerath zusammen mit seiner Frau und seinem aus Boston/USA angereisten Sohn Erez, allerdings ohne Kontakt mit jemandem aufzunehmen.

Achtung Todeskurve!

Sigmund Haas war, wie ihm frühere Bekannte nach Kriegsende bescheinigten, ein tüchtiger Händler, der die Viehmärkte in Trier, Wittlich und Kyllburg aufsuchte und in gesicherten Verhältnissen lebte. Ihm und seiner Familie wurde im Januar 1941, als man bereits in Palästina lebte, die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und das Vermögen beschlagnahmt. Ob Sigmund Haas und seine Familie bereits vor 1938 belästigt oder angegriffen wurden, ist nicht bekannt. Was er auf seinen Handelsreisen aber mit Sicherheit im Jahr 1934 gesehen hat: NS-Fanatiker hatten an der Straße zwischen Wittlich und Trier Schilder angebracht, auf denen zu lesen war Achtung Todeskurve! Juden ist Fahren über 100 km/h gestattet. – Wer den Juden erschlägt, kommt in den Himmel. – Kauft nicht bei Juden! Als der Syndikus des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.), der später nach England emigrierte Hans Jacobi, sich über diese diskriminierenden Schilder beim Trierer Regierungsrat Dr. Saaßen beschwerte, antwortete dieser ganz legalistisch. Das erste Schild sei ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, das zweite stehe wegen seines religiösen Charakters nicht im Einklang mit der nationalsozialistischen Weltanschauung – beide Schilder seien zu entfernen, während die Boykott-Schilder bleiben könnten, „da der Aufruf dem Willen des deutschen Volkes entspreche“.

Schwer misshandelt beim Novemberpogrom

Noch während NS-Fanatiker in Wittlich am 10. November 1938 Juden der Stadt drangsalierten und die Synagoge sowie jüdische Häuser und Geschäfte demolierten, hatte sich ein SA-Trupp unter Führung von Fritz Ancel per LKW am Spätnachmittag auf den Weg in die Dörfer gemacht, in denen Juden lebten – so auch nach Hetzerath, wo einheimische Nazis den Weg zum Haus Haas wiesen. Sigmund Haas, der von vielen seiner Mitbürger als hilfsbereiter und freundlicher Mann erinnert wurde, gab dazu nach Kriegsende eine eidesstattliche Erklärung ab:

„Nachdem diese Horde roher Menschen meine gesamte Wohnungseinrichtung demoliert und mich wiederholt geschlagen und mißhandelt hatte, musste ich meine jüdischen Gebetbücher, meine Schuldscheine, Wertpapiere etc. vor mein Haus tragen und dort selbst anzünden. Von der vorangegangenen Mißhandlung noch ganz benommen, versetzte man mir dann noch ein paar Schläge gegen den Kopf, die mich fast bewußtlos werden ließen. Zwei dieser Rohlinge schleppten mich dann weg, ich wußte nicht wohin es ging. Inzwischen war es dunkel geworden. Nachdem mich die Männer nochmal geschlagen haben, ließen sie mich liegen. Als ich wieder zu mir kam, merkte ich, daß ich mitten im Wald lag. Voller Angst vor noch Schlimmerem wagte ich mich nicht zu rühren, lag dicht am Boden und wagte kaum zu atmen. Als der Morgen dämmerte, machte ich mich auf den Heimweg. Zu Hause fand ich meine Familie in größter Aufregung. Kurze Zeit später wurde ich verhaftet und in das Gefängnis Wittlich eingeliefert. Nach meiner Freilassung wanderte ich mit meiner Familie am 8. Februar 1939 aus, da wir uns in Hetzerath nicht mehr halten konnten.“

Haas Aberkennung Staatsbürgerschaft 250Zeugen bestätigten, dass man Sigmund Haas mehrere Zähne ausgeschlagen, sein Motorrad schwer beschädigt und ihm einen höheren Geldbetrag abgepresst hatte.

In Palästina lebte die Familie Haas zunächst in Herzliya bei Tel Aviv in äußerst bescheidenen Verhältnissen. Therese Haas, deren Eltern und ihre Schwester mit ihrem Mann 1942 von Trier in den Osten deportiert worden waren, war gesundheitlich schwer angeschlagen. Sie starb 1962. Ihr Ehemann konnte sich in Palästina nicht zurechtfinden. Er lernte die neue Sprache nicht, Mentalität und Klima des Landes passten nicht zu ihm. Sein Enkel Amnon erinnert sich in einem seiner Bücher an ihn, „den überzeugten Deutschen, der – weil er die Trennung von Deutschland nicht verkraften konnte – eines Tages seine während des Ersten Weltkriegs erkämpften Orden zusammenpackte und sich auf den Heimweg begab.“ Das war im Sommer 1951. Sigmund Haas meldete sich zunächst wieder in Hetzerath polizeilich an und zog ein knappes Jahr später nach Trier in die Paulinstraße, um wieder ein Viehhandelsgeschäft, das bis 1964 angemeldet blieb, zu eröffnen. Sein letztes Lebensjahr verbrachte Haas im AWO-Altersheim An der Härenwies. Sigmund Haas starb am 21. März 1969 im Trierer Brüderkrankenhaus und wurde auf dem jüdischen Teil des Trierer Hauptfriedhofes begraben.

 

   


Franz-Josef Schmit, April 2019