Tagebuch und Erinnerungen von Trude Wittner, geb. Wolff

Trauer um die Heimat

Kategorie: Trude Wittner

Sie hat 35 Jahre gebraucht. Dann fasste sie den Entschluss, ihre alte Heimatstadt Wittlich wieder zu besuchen. Im Januar 1937 hatte Trude Wolff zusammen mit ihren Eltern und dem acht Jahre alten Bruder Werner, Wittlich in Richtung Palästina verlassen. Das Schuhgeschäft am Marktplatz musste schon Monate zuvor aufgegeben werden. Ihr Vater Sigmund, Frontkämpfer des Ersten Welt- krieges, hat das Verlassen Deutschlands nie richtig verkraftet ~ er starb bereits 1953 in Haifa. Trude und ihre Mutter Felicia zogen weiter in die USA. In New York heiratet sie den aus Berlin stammenden Fred Wittner, dessen Eltern im Holocaust ermordet worden waren. Bruder Werner promoviert in Soziologie und bringt es schließlich zum ordentlichen Professor. In Hannover lehrte er am Institut für Freiraumentwicklung der Universität Städtebau und Architektur und betreute Projekte in China und Indien. „Ich kann nicht vergessen" Es war ein schmerzlicher Abschied für die damals 15-jährige Trude Wolff. In einem ihrer zahlreichen Briefe an den Arbeitskreis Jüdische Gemeinde Wittlich schreibt sie: „Ich vergaß nie meinen letzten Sabbatgottesdienst und den letzten traurigen Besuch des jüdischen Friedhofs vor unserer Abreise. Schweigend gingen wir durch die Gräberreihen. Oft hatte ich als Kind am Zaun gestanden und gehört, wie das Kaddisch, dasjüdische Totengebet, gesprochen wurde.An diesem kalten Wintertag erlaubten uns die Eltern, das Innere des Friedhofes zu betreten. Laut alten jüdischen Gesetzen sollen Kinder, die noch beide Eltern haben, das Innere eines Friedhofs nicht betreten. So war für mich gerade dieser erste Besuch unseres Friedhofes, der zugleich ein Abschied von ihm war, besonders ergreifend und daher unvergesslich.“ Die Verwüstungen auf dem Friedhof im Sommer 1987 trafen sie mitten ins Herz ~ fast wollte sie nicht glauben, was Freunde aus Wittlich ihr berichteten. Erst zwei Jahre zuvor hatte sie mit ihrem Mann den Friedhof besucht. Ein Treffen mit ehemaligen Mitschülerinnen von der Ursulinenschule war auch etwas anders verlaufen, als Trude sich das vorgestellt hatte: „Alle sprachen darüber, was sie im Krieg gelitten haben. Niemand fragte nach meinen Verwandten oder den anderen Juden, die einmal in Wittlich gelebt haben. Man sagte nur: Die waren plötzlich verschwunden“ Und doch fügt sie gleich hinzu: „Trotz allem habe ich ein paar sehr liebe Freunde in Wittlich. Ich hasse nicht, aber ich kann nicht vergessen auch wenn man uns sagt, endlich zu vergessen Wer bei Trude Wittner nach Informationen zum Leben der Juden in Wittlich nachfragte, den 

Wittner Trude 400unterstützte sie: Schüler bei ihren Recherchen zu Facharbeiten ebenso wie die WDR-Journalistin Ursula Junk für ihre Reportagen im Hörfunk und Fernsehen. Gerade der Kontakt zu jüngeren Menschen war ihr zeitlebens ein großes Anliegen, So zählten für sie die Gespräche mit Schülern zu den Höhepunkten im Rahmen der Besuchswoche vom Mai 1991, an deren Zustandekommen sie. maßgeblich mitgewirkt Nicht zuletzt ihrem Zureden und ihren Briefen war es zu verdanken, dass etliche ehemalige Wittlicher Juden erstmals wieder den Ort ihrer Geburt und Jugendzeit besuchen wollten. Was Tante Trude - so ihre Unterschrift in Briefen an gute Wittlicher Freunde aus den letzten Jahren - besonders freute: Die Begegnungen waren keine Einbahnstraße. Wittlicher besuchten sie in New York. Nach dem Tod ihres Mannes lebte Trude Wittner in einem Altersheim der „Hebrew Tabernacle“-Gemeinde, die sich noch immer überwiegend aus deutsch- jüdischen Emigranten zusammensetzt. Dort ist sie am 28. April 2007 im Alter von 86 Jahren gestorben.


 erstmals im Trierischer Volksfreund vom 09.11.2012 veröffentlicht