Tagebuch und Erinnerungen von Trude Wittner, geb. Wolff

Erinnerungen 1937

Kategorie: Trude Wittner

Wir hatten keine Wohnung mehr, doch gute jüdische Freunde nahmen uns für die letzten Wochen in ihrem Hause zum Schlafen auf. Tagsüber waren wir bei Onkel und Tante, die ein Ledergeschäft in der Triererstraße hatten.Oft denke ich an diese letzten Tage. Wir gingen noch zu den älteren jüdischen Leuten in Wittlich, um uns zu verabschieden. Die anderen kamen zu uns. Sie kamen und gingen, ohne viel zu sagen. Sie wünschten uns Glück in der neuen Heimat und hofften das Gleiche für sich, ihre Kinder und Eltern. Ihre Augen sprachen, wir verstanden sie. Da waren noch welche, in denen man noch Hoffnung sah, andere zeigten Trauer und Verzweifelung. Viele, von denen, die hofften, uns wiederzusehen, sind nicht mehr. Sie liegen in der Erde von Mauthausen, Bergen-Belsen, Dachau und anderen Vernichtungslagern. Einer von ihnen - ein Freund meiner Eltern - hieß Nathan. Er war in der Eifel geboren, er sprach das Plattdeutsch wie die Eifeler. Er war groß und stark wie ein Baum, den niemand biegen kann. Er kam auch, um uns Lebwohl zu sagen. Das hatte er wohl vor. Er kam und saß zwischen uns, seine Augen voll Schmerz. Nicht ein Wort kam aus seinem Munde. Plötzlich stand er auf, umarmte uns und ging schweren Tritts die Treppe hinunter. Stille, dann ein lautes Schluchzen, das ich nie vergessen werde. Wenn ich an alle Unsere Freunde denke, an die kleinen und großen Kinder, ihre Eltern und Großeltern, dann höre ich auch wieder Nathan und bete, daß solche Zeiten nie wieder über uns kommen sollen, daß niemand wegen seiner Religion oder seiner Rasse verfolgt wird, daß Schwerter zu Pflügen geschlagen werden und daß die welt wieder so schön wird,wie meine Kindheit vor 1933 in Wittlich war."

Trude Wittner