Die Archenholds

Emigration und Sehnsucht

Kategorie: Archenhold

Franz-Josef Schmit
zur Erinnerung an Rechtsanwalt Dr. Franz Otto Archenhold

Archenhold Sportvereinsvorsitzender 250 250Eine erste Blütezeit erlebte der Wittlicher Sportverein S.V.W., der in diesem Jahr auf sein 100jähriges Bestehen zurückblicken kann, in den Jahren 1925 bis 1933 unter dem Vorsitzenden Dr. Franz Otto Archenhold,der sich Anfang der 20er Jahre in seiner Geburtsstadt als Rechtsanwalt niedergelassen hatte.

Für ihn wie auch für Gründungsmitglied Alfred Ermann und Kassierer Paul Bender sowie den Leichathlet Arthur Günter und den Hockeyspieler Walter Kahn, allesamt Wittlicher Juden, war mit der Einführung des „Arierparagraphen“ – einer Art selbst vollzogener Vereins-„Gleichschaltung“ – am 25. April 1933 im Verein kein Platz mehr.

Boykottiert am 1. April 1933

Boykott der Anwaltskanzelei Archenhold„Nach der Machtergreifung Hitlers ging meine Anwaltspraxis ständig zurück. Meine Klientel wurde ständig bedroht, so dass sie es nicht wagte, mich als Anwalt zu bestellen. Seit 1934 brachte die Praxis nicht mehr die Kosten für Angestellte und Miete auf“, schreibt der Jurist 1957 an das Amt für Entschädigung der NS-Verfolgten in Trier. Bereits beim Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933 hatten sich Wittlicher Nazis vor der Kanzlei in der Neustraße 22 mit einem Schild aufgestellt, auf dem zu lesen war: „Rechtsanwalt Archenhold ist Jude, meide ihn!“ Zu dieser Zeit wird ihm auch die Zulassung beim Amtsgericht Wittlich und Landgericht Trier entzogen. Diese erhält er zwar als mit dem „Eisernen Kreuz“ (EK II) dekorierter Soldat des Weltkrieges wieder für einige Zeit zurück, aber Dr. Archenhold ist wiederholt körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Den Wittlicher Nazis ist vor allem Dr. Archenholds Verbindung mit der protestantischen Regina Hermkens ein Dorn im Auge ist. Anfang August 1935 kommt es auf dem Marktplatz zu einer massiven Prügelei zwischen stadtbekannten SA-Leuten und dem als „Rassenschänder“ angeprangerter Anwalt, der sich im Hotel Well in Sicherheit bringen kann und schließlich für drei Tage nach Trier in „Schutzhaft“ gebracht wird. Nach dem Krieg gibt er zu Protokoll: „Der Leiter der Gestapo verbot mir bei meiner Entlassung nach Wittlich zurückzukehren, da mein Leben gefährdet sei. Der Führer der SS riet mir wohlwollend, Deutschland zu verlassen, da für Juden kein Platz in Deutschland mehr sei.“

Flucht nach Luxemburg und Palästina
Der Jurist findet bei Freunden in Luxemburg Unterschlupf. Seine beiden Angestellten können noch seine Möbel und Kunstsammlung – darunter Bilder von Erich Wilke und Klaus Fisch sowie drei Skulpturen von Anni Hoefken-Hempel retten, die Dr. Archenhold unter dem Druck der Zeitverhältnisse weit unter Wert verkaufen muss, um seine Ausreise im Januar 1936 nach Palästina zu finanzieren. Der Versuch, die gut geführte Kanzlei zu verkaufen, misslingt – ein „arischer“ Anwalt übernimmt diese, ohne den ursprünglich mit Dr. Archenhold vereinbarten Preis zu zahlen. Der Anwalt, der nach eigenen Angaben jährlich zwischen 6.000 und 8.000 RM eingenommen und auch den Bau des neuen Sportplatzes „Am Bürgerwehr“ mitfinanziert hatte, konnte in der Fremde wegen fehlender Sprachkenntnisse sich kaum ernähren. Erst als seine Verlobte im Januar 1938 in Tel Aviv ankommt und beginnt, Kleider von anderen Emigranten auszubessern, bessert sich die Lage der beiden, die am 8.1.1938 geheiratet hatten.
An M. J. Mehs schrieb Dr. Archenhold 1947 einen Brief, nachdem er aus Wittlich einige Briefe erhalten hatte. Seinem langjährigen Freund Mehs konnte er anvertrauen, was ihn bedrückte:
„Mit Wehmut musste ich aus den meisten Briefen feststellen, dass die Krankheit des 20. Jahrhunderts, der ‚Nationalsozialismus’, auf Hirn und Herz der davon Befallenen geradezu verheerend gewirkt hat, so dass sie bar jeden Gerechtigkeitsgefühls nicht einmal Ursache und Wirkung unterscheiden können, und den ethischen Begriff von Schuld und Sühne, der doch unsere ganze Literatur beherrschte, vollständig vergasen.“

Ehepaar Archenhold in den USA
Im Januar 1949 treffen die Archenholds in Kansas City ein, wo sie die ersten Monate bei Gertrud Baum, der Schwester des Anwalts wohnen. Während Dr. Archenhold sich mit billigen Jobs bei verschiedenen Firmen begnügen muss, findet seine Frau als Schneidermeisterin eine gute Stellung in einer Kleiderfabrik – sie näht und entwirft Kleidermuster. Heimisch wird der inzwischen knapp 60-Jährige in den USA nicht und so schreibt er an Matthias Joseph Mehs, Freund aus Bonner Studienzeit: „Man soll einen alten Baum nicht verpflanzen. Wer das Leben in Deutschland gewohnt war, kann sich Archenholdgrab Friedhof Burgstraße Wittlich AS 300schlecht in einer neuen Welt zurechtfinden. Die Gegensätze sind zu groß und man ist mittlerweile zu alt geworden, um sich diesen neuen Verhältnissen anpassen zu können.“ Die Entwicklung der jungen Bundesrepublik verfolgt der stets politisch interessierte Mann aufmerksam und vertraut Mehs an: „Hat sich Wittlich von den Kriegsverwüstungen etwas erholt? Ich denke oft mit Sehnsucht an die alte Heimat zurück. Wie hat sich die Bevölkerung inzwischen entwickelt, ist sie immer noch von der nazistischen Seuche befallen oder hat sie inzwischen ihre Schuld und ihre Verbrechen eingesehen?“

Erst im Mai 1960 kehren Archenholds zurück und beziehen eine kleine Wohnung in München, wo Dr. Archenhold am 10. April 1970 stirbt. Seine Frau bringt die Urne nach Wittlich und M. J. Mehs sorgt dafür, dass die Bestattung auf dem Friedhof Burgstraße erlaubt wird. Das Grab gibt es noch, ein Foto des Vertriebenen und Zurückgekehrten scheinbar nicht.


Erstveröffentlichung: Trierischer Volksfreund vom 16. August 2012

Lit:
F.J. Schmit
Vertriebene sind wir, Verbannte.
Porträts fünf deutsch-jüdischer Juristen aus Wittlich
Trier, 2015, Paulinus Verlag, S. 11 - 48