Die Archenholds

Brief an Matthias Mehs

Kategorie: Archenhold

Israel 1947

Lieber Matthias!

Endlich sind meine Ferien gekommen, die mich in die Lage versetzen, Deinen lbm. Brief zu beantworten. Vordem war es mir einmal durch Ferienvertretungen, sodann durch die allzu grosse Sommerglut, die mir dieses Jahr gewaltig zusetzte, schier unmöglich, des Abends die Feder zu ergreifen. Wie sehr ich mich mit Deinem Briefe gefreut habe, kannst Du kaum ermessen. Zwar habe ich schon eine Reihe Briefe aus der alten Heimat erhalten, die mich nur zum Teil erfreuten. Mit Wehmut musste ich aus den meisten feststellen, dass die Krankheit des 20. Jahrhunderts „der Nationalismus“ auf Hirn und Herz den davon Befallenen geradezu verheerend gewirkt hat, sodass sie bar jeden Gerechtigkeitsgeühls nicht einmal Ursache und Wirkung unterscheiden können und den ethischen Begriff von Schuld und Sühne, der doch unsere ganze Literatur beherrschte, vollständig vergassen. Aber auch hier hat der Nationalismus die tollsten, ungeahntesten Früchte gezeitigt. Der Geist der meisten ist vollständig verwirrt. Nur wenige gibt es, mit denen man vemünftig sprechen kann. Fast möchte ich sagen, dass Hitler -Ironie des Schicksals-hier seine gelehrigsten Schüler gefunden hat, wie Dir die Zeitungsberichte sicherlich schon gezeigt haben. Man könnte daher, wie Du, nicht nur am deutschen Volke, sondem an der ganzen Menschheit fast verzweifeln. Es ist grauenvoll, dass heute die Verfechter der Demokratien zwei Jahre nach Kriegsende ganze Völker noch heute hungern und darben lassen, während andere Völker am Überfluss ersticken. So spielt sich der moderne Tanz ums goldene Kalb ab! Ob wir Beide es noch erleben, dass Vemunft und Einsicht wieder in die Völker einziehen. Hoffen und wünschen wir es, zu mehr sind wir zu schwach.

Dass Du und die Deinen aus der schrecklichen Zeit glücklich gerettet wurden, hat alle hiesigen „Wittlicher“ riesig gefreut. Bender, Bär, Hess vom Schlossberg, die diversen Ermänner aus der Kordel, Himmeroderstrasse senden herzlichste Grüsse. Dass Wittlich durch die Bombenangriffe schwer gelitten hat, hörte ich schon früher. Es freut mich, dass wenigstens das Gesicht der Stadt erhalten blieb.

Meine Mutter ist, G.s. Dank muss ich sagen, im Oktober 41 eines natürlichen Todes in Sayn bei Coblenz verschieden und auf dem dortigen Friedhof beigesetzt. Meine Schwester nebst Familie lebt in U.S.A. und zwar in Kansas City, wo auch die verstorbenen Brüder meiner Mutter gewohnt hatten. Die älteste Tochter meiner Schwester lebt mit Familie in Rio. Die beiden Söhne haben den Krieg überstanden. Der eine war Flieger, der andere Führer einer Airforceschwadron tmd wurde am zweiten Tage der Landung in Frankreich gefangen genommen und war 8 Monate im Offizierlager in Bromberg in Gefangenschaft. Wir hatten hier im Kriege nichts zu leiden, nur meine Frau war im Anfang des Krieges 7 Wochen inhaftiert. Seit einigen Jahren arbeite ich in einer grossen Lebensmittelfirma -englisch- als Clerk- und fühle mich ganz wohl.

Ich habe hier oftmals an Dich gedacht und manchmal gewünscht, Du wärest hier und zwar dann, wenn Architekt Kasel aus Trier und ich die Altstadt Jerusalems durchstreifen und uns an den ehrwürdigen Stätten erbauten. Was dort alles zu sehen ist, kann man unmöglich im Briefe schildem. Immer wieder zieht es mich dorthin, um mit Kasel, der einer der besten und sachkundigsten Kenner der Altstadt geworden ist, wieder etwas neues und schönes mir anzusehen. Vor 2 Jahren war ich mit meiner Frau 14 Tage dort, die zu den schönsten gehörten, die ich bisher verlebt habe. So lieber Matti, vergelte nicht gleiches mit gleichem, sondem lasse bald wieder etwas von Dir hören.

Für heute Dir und den Deinen die allerbesten Grüsse

Dein alter Franz.

Auch von mir herzliche Grüße , Regine Archenhold