Mahnwache 09 Nov mb 1200

Recht und Gerechtigkeit ...

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... In diesen Tagen geht durch unser Volk ein Fragen: wo ist in Deutschland der Prophet, der in des Königs Haus geschickt wird, um des Herrn Wort zu sagen?
Wo ist der Mann, der im Namen Gottes und der Gerechtigkeit ruft, wie Jeremia gerufen hat: Haltet Recht und Gerechtigkeit, errettet die Beraubten von des Frevlers Hand! Schindet nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen, und tut niemand Gewalt, und vergießt nicht unschuldig Blut!
Gott hat uns solche Männer gesandt! Sie sind heute aber entweder im Konzentrationslager oder mundtot gemacht. Die aber, die in der Fürsten Häuser kommen und dort noch heilige Handlungen vollziehen dürfen, sind Lügenprediger wie die nationalen Schwärmer zu Jeremias Zeit und können nur Heil und Sieg rufen, aber nicht Gottes Wort verkündigen…
Ein Verbrechen ist geschehen in Paris. Der Mörder wird seine gerechte Strafe empfangen, weil er das göttliche Gesetz übertreten hat. Aber wer hätte gedacht, dass dieses Verbrechen von Paris bei uns in Deutschland so viele Verbrechen zur Folge haben könnte?...
Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes missachtet, Gotteshäuser, die den anderen heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört. Männer, die unserem Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden ins KZ-Lager geworfen, bloß weil sie einer anderen Rasse angehörten!
Mag das Unrecht auch von oben nicht zugegeben werden – das gesunde Volksempfinden fühlt es deutlich, auch wo man nicht darüber zu sprechen wagt. Und wir als Christen sehen, wie dieses Unrecht unser Volk vor Gott belastet und seine Strafen über Deutschland herbeiziehen muss. Ja, es ist eine entsetzliche Saat des Hasses, die jetzt wieder ausgesät worden ist. Welche entsetzliche Ernte wird daraus erwachsen, wenn Gott unserem Volk und uns nicht Gnade schenkt zu aufrichtiger Buße...


Auszüge aus der Pedigt von Pfarrer Julius von Jan am 16. November 1938 in Oberlenningen/Württemberg;
Er war Mitglied der oppositionellen „Bekennenden Kirche“, wurde als „Judenknecht“ angeprangert und wenige Tage nach der Predigt von der Gestapo verhaftet.

Diese Predigt nach Jeremia 22, 29 („O Land, Land, höre des Herrn Wort!“) war der eindrucksvollste Protest nach dem Pogrom gegen Antisemitismus und den NS-Staat. In seiner Diktion ist der Text auch ein aufschlussreiches Zeitdokument.

Das Kulturamt der Stadt Wittlich, das Emil Frank Institut und der Arbeitskreis "Jüdische Gemeinde Wittlich" laden seit vielen Jahren zum Gedenken an die Progromnacht 1938 zu einer Mahnwache auf dem Marktplatz ein. 

Die Texte wurden während der einstündigen Mahnwache am 09.November 2022 vorgetragen. Zusammengestellt hat sie der Arbeitskreis.

Diese Form der Erinnerungs- und Gedenkarbeit gibt es seit Ende der der 70' iger Jahre. Damals zunächst initiiert von der Wittlicher "Pax-Christi" Gruppe vor der ehemaligen Synagoge.

Foto: Werner Bühler