Tagebuch und Erinnerungen von Trude Wittner, geb. Wolff

Erinnerungen 1933

Kategorie: Trude Wittner

Der sogenannte "Boykottag" sollte in drei Tagen stattfinden. Was bedeutete das für ein Kind? Ein Wort, das man vorher vielleicht einmal las, doch nicht erlebte. Die Eltern wurden so ernst, ihre Gesichter traurig und Furcht kam über uns.

Erster April 1933.

Wie an jedem Tag ging ich zur Ursulinen-Schule, oben an der Kurfürstenstraße. Die guten Schwestern, die ahnten, was bevorstand, erlaubten mir früher nach Hause zu gehen. Wir wohnten am Marktplatz. Ich erinnere mich, wie ich von Angst getrieben rannte. Dort, wo Burg- und Neustraße zusammenkommen, stand ich still. Dann hörte ich das Singen und das Trommeln der SA und SS, die zum Markt-platz marschierten. Ich konnte nicht unterscheiden, wo sie waren, und ich lief mit stark klopfendem Herzen die Neustraße runter, hoffend, daß ich vor den Marschierenden zu Hause sein würde; doch ich war zu spät. Da waren sie alle mit ihren häßlichen Schildern, die sie über die Eingänge jüdischer Geschäfte hielten.
Ist nicht einer da in der Menge, der sagt: Hab keine Angst, ich beschütze Dich! Ihr habt doch nichts Böses getan! - Keiner war da. Zuerst mußte ich durch die schaulustige Menge, dann nach Hause. Ob sie wohl Vater verhaftet haben? Ist er noch da? Ich hörte, daß Männer von ihren Familien genommen wurden. Werden die Riesen in brauner und schwarzer Uniform mich schlagen? Unter dem Schild, zwischen den Männern ging ich durch. Unsere Geschäftstüre öffnete sich und schloß sich wieder hinter mir. Vater und Mutter waren da.
Gott sei gelobt. wir weinten alle und gingen zusammen in die Wohnung
oberhalb des Geschäfts, wo jemand meinen kleinen Bruder betreute.
Das war nur der Anfang einer schlimmen Zeit.

Trude Wittner