Der Arbeitskreis "Jüdische Gemeinde Wittlich"
Die Gedenk- und Erinnerungsarbeit heute
Die Gedenk- und Erinnerungsarbeit des Arbeitskreises „Jüdische Gemeinde Wittlich“ war in den ersten drei Jahrzehnten in besonderer Weise auf die Erforschung der Geschichte der früheren jüdischen Gemeinde und das Sichtbarmachen der Schicksale deutsch-jüdischer Menschen aus Wittlich ausgerichtet (vgl. Dr. Marianne Bühler: 30 Jahre Arbeitskreis „Jüdische Gemeinde Wittlich“ im Jahresbericht 2017/2018 des Emil-Frank-Instituts, S. 39-41 oder online: https://www.emil-frank-institut.de/veroeff-2015/jahresberichte-2015).
In den letzten Jahren hat sich das Spektrum erweitert auf andere NS-Verfolgte aus Stadt und Region. Dabei und bei der Erforschung spezieller Aspekte (z.B. der „Arisierung“) wurde immer deutlicher, dass auch die Rolle nicht-jüdischer Deutscher während der NS-Zeit stärker in den Blick genommen werden muss. Im Übrigen waren und sind noch immer etliche Fragen zu klären, beispielsweise:
- Wer war mit welchen Zuständigkeiten und welchen Interessen während der NS-Zeit für Inklusion und Exklusion verantwortlich?
- Warum hatte eine v o r 1933 erreichte Integration der jüdischen Minderheit in bedenklich kurzer Zeit praktisch ihr Ende gefunden?
- Wie konnte es der NSDAP auch auf lokaler Ebene gelingen, eine derart dominante und alles beherrschende Stellung in recht kurzer Zeit zu erreichen und aufrechterhalten?
Wer die Alltagsgeschichte der NS-Diktatur und deren Wirkungsmechanismen auf Menschen (auch mit Blick auf heutige Bedrohungen der Demokratie) kennenlernen will, wer das Prinzip von Inklusion und Exklusion als grundlegend verstehen will – der muss sich auch mit den Stützen und Akteuren des NS-Regimes im konkreten gesellschaftlichen Raum befassen. Das bedeutet konkret, dass auch die Biografien und Aktionsfelder von NS-Aktivisten und NS-Propagandisten auf den verschiedenen Ebenen dargestellt werden sollten.
Zur Konkretisierung kann an dieser Stelle auf eine bis in die Gegenwart grundlegende Arbeit des Holocaust-Überlebenden Hans G. Adler verwiesen werden, die unter dem bezeichnenden Titel „Der verwaltete Mensch“ schon 1974 erschienen ist:
In allen Orten wurde die vorbereitende Deportationsarbeit trotz Beauftragung der städtischen Schutzpolizei und auf dem Lande der Gendarmerie vom Bürgermeister mitbesorgt oder doch zumindest genau überblickt. Kein Landrat und kein Bürgermeister in Deutschland, aus dessen Verwaltungsgebiet auch nur ein einziger Jude verschickt worden ist,
konnten nach dem Winter 1941/42 über den bürgerlichen Tod der Juden in Unkenntnis bleiben. Mit Ausnahme der Vorgänge bei der Verladung in einen Deutschland endgültig
verlassenden Zug gibt es ungefähr keine wichtige Einzelheit der Deportation, die ein Landrat oder Bürgermeister nicht ebenso gut wissen mußte wie ein Beamter der Gestapo, soweit er in
die blutigen Geheimnisse der ‚Endlösung‘ uneingeweiht war. (S. 373)
Was hier zu den Deportationsmaßnahmen gesagt wird, gilt auch für viele andere Verfolgungsmaßnahmen und nicht zuletzt für die „Arisierungen“, an denen die lokalen Finanzämter mit ihren ns-loyalen Beamten ebenso wie Amtsverwaltungen, Banken und Notare beteiligt waren.
Franz-Josef Schmit