Die jüdische Schule in Wittlich

Schulbuchauszug 1200

Die Aufbauschule

Kategorie: Aufbauschule

Aufbauschule WTB 29031922 400

Eine erste Aufbau-Klasse wurde am 25. April 1922 mit 26 Schülern unter Leitung des ehemaligen Seminardirektors Wilhelm Könen eröffnet.

Als erster jüdischer Schüler war der 1910 geborene Kaufmannsohn Kurt Günther 1924 an der Aufbauschule aufgenommen worden. Wie er verließ etwa die Hälfte von ihnen die Schule mit der Mittleren Reife. So auch die Brüder Manfred und Julius Josef, die später nach Frankreich emigrierten. Der jüngste Sohn der Geschäftsleute Josef aus der Neustraße, Erich, schaffte es bis in die Obersekunda (Klasse 11) und wurde im Krieg als Pilot der britischen Luftwaffe über Deutschland abgeschossen.

Als erster jüdischer Schüler war der 1910 geborene Kaufmannsohn Kurt Günther 1924 an der Aufbauschule aufgenommen worden. Wie er verließ etwa die Hälfte von ihnen die Schule mit der Mittleren Reife. So auch die Brüder Manfred und Julius Josef, die später nach Frankreich emigrierten. Der jüngste Sohn der Geschäftsleute Josef aus der Neustraße, Erich, schaffte es bis in die Obersekunda (Klasse 11) und wurde im Krieg als Pilot der britischen Luftwaffe über Deutschland abgeschossen.

Hans Fred Ermann und Liesel Marcks hingegen waren die ersten jüdischen Abiturienten im Jahr 1932. Beide immatrikulierten sich noch in Bonn für ein Medizinstudium, das sie aber unter dem NS-Regime aufgeben mussten. Marcks emigrierte nach England und wurde Hebammenschwester - Ermann ließ sich in Paris zum Koch ausbilden, gelangte 1938 in die USA, wo er zusammen mit seiner Anzeige Aufbauschule 400Frau die Kantine eines Krankenhauses pachtete. Über die sich mit der Machtergreifung rapide verschlechternden Beziehungen zwischen ihm und seinen "arischen" Mitschülern hat Ermann später ausführlich in Briefen an den Arbeitskreis "Jüdische Gemeinde Wittlich" berichtet. Auf Ermanns Abiturzeugnis werden sein offener und ehrlicher Charakter und sein bescheidenes und zuvorkommendes Wesen sowie seine starken philosophischen Interessen lobend hervorgehoben.

Sein Cousin Kurt Ermann hatte sich selbst den Weg zum Abitur in Wittlich verbaut: Um den bereits 1932 spürbaren Einschüchterungsversuchen einiger national gesinnter Mitschüler etwas entgegenzusetzen, hatte er einen alten Revolver seines Großvaters aus dem Ersten Weltkrieg mit in die Klasse gebracht. Ein Schuss löste sich und Ermann erhielt wie einer seiner Kontrahenten einen Schulverweis, konnte aber in Prüm seine gymnasiale Ausbildung fortsetzen. In Paris besuchte er ab 1935 eine Hotelfachschule, emigrierte 1938 in die USA und kam als Dolmetscher in der US-Armee bei Kriegsende wieder nach Wittlich, was bei einigen Wittlichern Nazis für ziemliches Entsetzen sorgte. Nur in wenigen Fällen war Ermann bereit, die Ausstellung eines "Persilscheins" für Wittlicher Bürger durch seine Vorgesetzten zu unterstützen. Der kleine Mann, der zeitlebens das Wittlicher Platt beherrschte, als wenn er nie seine Heimat verlassen hätte, brachte es in New York bis zum Chefkoch im renommierten "Waldorf-Astoria-Hotel" und hat bis zu seiner Pensionierung Anfang der 90er Jahre viele bedeutende Persönlichkeiten aus Politik und Kultur bekocht.

Seine Schwester Hilde verließ Anfang 1935 als letzte jüdische Schülerin die Cusanus-Schule. Die Anstalt war damit "judenrein" und aufgrund einer hundertprozentigen Organisation der 114 Schüler (davon 18 Mädchen) in den NS-Gliederungen (HJ, BDM etc.) hatte man sich das "Recht" erworben, die HJ-Flagge zu hissen und bei Schul
wanderungen den HJ- Chefkoch Kurt Ermann, im Kreis seiner Kollegen, vorne Mitte Dienstanzug zu tragen. Bereits ein Jahr vorher hatte Charlotte Ermann, einzige Tochter des erfolgreichen Lebensmittelgroßhändlers Wilhelm Ermann, dem wachsenden Druck nachgegeben und war zu Verwandten nach Werne gezogen. Vor dort wurde sie in das Getto Riga deportiert und gilt als "verschollen".

Hans Siegfried Ermann, 1914 in Wittlich als Sohn eines Schneidermeisters geboren, bestand im März 1933 als letzter jüdischer Schüler sein Abitur und begann an der pädagogischen Akademie in Frankfurt seine Ausbildung zum Volksschullehrer, die er in Würzburg abschloss. Bis 1938 durfte er noch an der "Theodor-Herzl-Schule" in Berlin-Charlottenburg unterrichten. Nach der Emigration nach Palästina leitete er von 1940 bis 1954 eine Schule in Tel Aviv und brachte es in den USA bis zum Schulrat für jüdische Schulen. Nach seiner Pensionierung lehrte er Deutsch an der Universität in Washington. Nach dem Besuch der Höheren Stadtschule konnte Kurt Leopold Ermann an der Cusanus-Schule nur ein kurzes Gastspiel geben. Am Ende der 10. Klasse musste der begabte Ermann auf Druck seiner Eltern bei Emii Frank eine Lehre im Textilhandel absolvieren. Ursprünglich wollte er Lehrer werden. Dafür hatte aber sein Vater, der Pferdehändler Jakob Ermann, kein Verständnis und hielten ihm entgegen: "Als Lehrer bleibst du dein Leben lang ein armer Mann." Er selbst kommentierte das später mit einer gewissen Ironie: "Es war wohl der unmöglichste Beruf für mich. Wenn schon Kaufmann, dann vielleicht Buchhändler, denn außer Bücher interessierte mich nichts. Wohl hätte ich Textilkunde auf ,wissenschaftlicher' Weise lernen können - aber der für den tüchtigen Verkäufer notwendigen Schmus widerte mich an." Um wenigstens etwas seinen geistigen Neigungen folgen zu können, verfasste der überzeugte Antifaschist und Sozialdemokrat Artikel für die SPD-Zeitung "Trierer Volkswacht". Nicht zuletzt deshalb musste Ermann Deutschland 1933 rasch verlassen und gelangte über Paris nach England, wo er sich für den Militärdienst meldete und später mit der britischen Armee nach Italien kam.
Nach dem Krieg holte er sein Abitur nach, erwarb ein Diplom für englische Sprache an der Universität Cambridge und promovierte schließlich mit einer umfangreichen Arbeit zu "Goethes Shakespeare-Bild". Diese erste in deutscher Sprache an der Universität Jerusalem verfasste Dissertation wurde 1983 im Tübinger Wissenschaftsverlag Niemeyer veröffentlicht. Dass seine nach Lodz deportierten und dort verstorbenen Eltern seineerfolgreiche akademische Laufbahn nicht mehr erleben konnten, schmerzte Kurt Ermann zeitlebens. Nach seinem Tod 1997 stellte der Philologe und Mann der Wissenschaft seinen Leichnam der medizinischen Fakultät Jerusalem zur Verfügung.

Franz-Josef Schmit


 Erinnerungen

Erinnerung Ralph ErmannErinnerung Liesel MarcksErinnerung Hans Alfred ErmannErinnerung Hans Ermann


 Qu.: Franz-Josef Schmit

 

 

 

Autor


Dr. Marianne Bühler, 2019

Qu.: Angaben bei dem jeweiligen Kapiteln