Novemberpogrom 1938 in Wittlich

Synagoge Kohle Forster 400

Seit dem 01. April 1933, dem Boykotttag,  waren die jüdischen Bürger von Wittlich zunehmend den Repressalien der Nationalsozialisten ausgeliefert. Viele sahen keine Zukunft mehr in der Stadt, in der sie sich wohlgefühlt hatten, die sie als Bürger mitgestalteten und zu deren Wohl sie u.a. auch als Geschäftsinhaber und Betriebe mit beitrugen. Sie mussten ihr Eigentum, weit unter Wert, meist an Nationalsozialisten nahestehende Geschäftsleute verkaufen. Ihre Zuflucht suchten sie im nahen Ausland (Luxemburg, Frankreich, England) und in den größeren Städten (Köln, Frankfurt...).  Die Zahl der noch in Wittlich lebenden Juden ist in dieser Zeit von fast 284 vor dem Boykott 1933 auf 86 gesunken. In der Nacht zum 09. auf den 10. November erlebten die Ausschreitungen gegen Juden einen weiteren unbeschreiblichen Höhepunkt in Deutschland. Auch Wittlich war davon betroffen.  Die SA-Truppen zogen vandalierend durch die Stadt. Rädelsführer war Walter Kölle, NSDAP Kreisleiter. Die Inneneinrichtung der Synagoge, die jüdische Schule in der Kirchstraße und die Wohnungen der noch wenigen jüdischen Bürger, die in der Stadt lebten wurden zerstört. Die männlichen Juden wurden gefangen genommen und ins Wittlicher Gefängnis überführt. Schutz für die Juden durch die Polizei oder Bürger gab es nicht. Bis heute lässt das Ereignis viele Fragen offen.

Bild: Lothar Forster, Kohlezeichnung der Synagoge

Nach 1945 Entnazifizierung

Kategorie: Novemberpogrom

Durch das Abtauchen über einen Zeitraum von sieben Jahren hatte der ehemalige Kreisleiter Walter Kölle entscheidende Jahre der so genannten „Entnazifizierung“ und gerichtlichen Verfolgung früherer nationalsozialistischer Funktionsträger (einschließlich der so genannten „Pogromtäter“) in den vier Besatzungszonen zunächst einmal regelrecht „überstanden“. Als er im Sommer 1952 auf Grund der Enttarnung und Anzeigenerstattung durch die REVUE-Redaktion vor die Koblenzer Spruchkammer bestellt wird, war der Entnazifizierungseifer der unmittelbaren Nachkriegszeit längst erlahmt, die Entnazifizierung selbst weitgehend abgeschlossen und die Gerichte ahndeten NS-Straftaten deutlich milder als in den ersten Jahren nach Kriegsende.

Im Gegensatz zu Kölle hatte man die meisten Kreisleiter des Gaus Koblenz-Trier nach Kriegsende zwei bis drei Jahre inhaftieren können.1 Als Amtsträger der Partei unterlagen sie der „Automatic Arrest“-Direktive, die bereits im Dezember 1944 vom Oberbefehlshaber der Westalliierten beschlossen worden war und Massenverhaftungen bis zur Stufe der Ortsgruppenleiter vorsah. Die Unterbringungsbedingungen in den verschiedenen Lagern waren, besonders in der ersten Zeit, durchaus hart, aber nicht vergleichbar mit den Lebensbedingungen in den ehemaligen Konzentrationslagern.2 Barbara Fait liefert für die Internierungslager in Bayern eine Reihe von Beispielen; sie sieht in der psychologischen Situation der Internierten durch die Ungewissheit über die Dauer ihrer Internierung jedoch das Hauptproblem: Sorgen um die Angehörigen, Erbitterung darüber, daß andere, zum Teil viel schwerer Belastete frei blieben, Angst vor harten Strafen und Degradierung trugen dazu bei, die Psyche der Internierten bis an ihre Grenze zu belasten; Depressionen waren eine weit verbreitete Erscheinung. Die räumliche Enge der überfüllten Lager begünstigten Aggressionen und Nervosität, psychosomatische Krankheiten (…) waren recht häufig. Zusätzlich belastet wurde die seelische Verfassung vieler Internierter (…) durch die Überzeugung, völlig zu Unrecht auf falsche Denunziation hin oder aus Irrtum in Haft’ zu sitzen.3 Die inhaftierten Kreisleiter waren zuletzt vor die Entnazifizierungs-Spruchkammern gestellt worden, was überwiegend im Sommer 1948 mit der Auflösung der Internierungslager einhergegangen war.

Im Frühjahr 1946 war die Entnazifizierung deutschen Stellen übertragen und durch das „Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946“ geregelt worden. Die Spruchkammern stuften die Betroffenen in fünf Kategorien politischer Verantwortlichkeit ein (von Gruppe I = Hauptschuldige bis Gruppe V = Entlastete) und verhängte „Sühnemaßnahmen“ (von Geldbußen bis hin zur dauernden Entfernung aus dem öffentlichen Leben). Weil die Durchführung der Spruchkammerverfahren sich nur zum Teil nach deutscher Rechtstradition richtete – so lag die Beweislast beispielsweise beim Betroffenen – und zunächst nach pauschalen Kriterien (z.B. Parteimitgliedschaft) geurteilt wurde, standen diese Verfahren stark in der öffentlichen Kritik.4 Erst das „Befreiungsgesetz“ von 1946 mit seinen 67 Artikeln sorgte für eine auf den Einzelfall abgestimmte Beurteilung, und zwar entsprechend des Artikels 2, Absatz 2: Die Beurteilung des Einzelnen erfolgt in gerechter Abwägung der individuellen Verantwortlichkeit und der tatsächlichen Gesamthaltung; darnach wird in wohlerwogener Abstufung das Maß der Sühneleistung und der Ausschaltung aus der Teilnahme am öffentlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Volkes bestimmt mit dem Ziel, den Einfluß nationalsozialistischer und militaristischer Haltung und Ideen auf die Dauer zu beseitigen.5

Bereits im Frühjahr 1947 änderte sich die amerikanische Haltung zur bisherigen Entnazifizierungspraxis angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage Westdeutschlands: Da nennenswerte neofaschistische Bestrebungen nicht feststellbar waren, erschien es den USA nun im Hinblick auf die Entwicklung der deutschen Wirtschaft und die Höhe der amerikanischen Besatzungskosten nicht vertretbar, daß Hunderttausende von Fachkräften nicht in Wirtschaft und Verwaltung eingesetzt werden konnten, weil sie auf den Abschluß ihres Entnazifizierungsverfahrens warteten.6 Das Kalkül der Amerikaner, das besetzte Feindesland zum Vorposten gegenüber dem als immer bedrohlicher empfundenen kommunistischen Machtzuwachs im Osten7 zu machen, spielte ebenfalls eine wichtige Rolle für das geschwundene Interesse an einer umfassenden und rigorosen Überprüfung aller Deutscher über 18 Jahren. Während die deutschen Behörden aus Gerechtigkeitsgründen auf Fortsetzung der Verfahren, zumindest gegen bestimmte Personengruppen bestanden, verloren die Alliierten, allen voran die Amerikaner, weitgehend das Interesse. Zwei Änderungsgesetze im „Befreiungsgesetz“ erweiterten die Amnestiemöglichkeiten, viele noch unerledigte Verfahren wurden eingestellt und bereits auferlegte Sühneleistungen gegenüber Minderbelasteten und Mitläufern erlassen. Da jetzt vor allem die stärker Belasteten überprüft wurden, weil ihre Fälle oft aufgeschoben worden waren oder weil sie erst spät aus der Versenkung auftauchten, führte die Abschwächung der Entnazifizierung praktisch weitgehend zur Rehabilitierung dieses Personenkreises.8 In Rheinland-Pfalz galt die Entnazifizierung im September 1951 offiziell als abgeschlossen. Insgesamt hatten die Spruchkammern 299.562 Fälle bearbeitet (bei 2,75 Millionen Einwohnern Ende 1946). In die Gruppe der Belasteten (II) waren 440 Personen eingestuft worden, während die Gruppe der Mitläufer 18.474 Personen umfasste.9

Walter Kölle wird für den 4.08.1952 zu einer nichtöffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses nach Koblenz vorgeladen. Neben dem Vorsitzenden gehören dem Ausschuss noch vier weitere Mitglieder, ein öffentlicher Kläger und ein Protokollführer an. Zu diesem Termin erscheint Kölle aber nicht. Als Zeugen vernimmt der Ausschuss den Gend.-Meister a.D. Hans Haubrich (Lutzerath, früher Wittlich), die Wittlicher Bürger Bürgermeister a.D. Dr. Karl Hürter, den Bundestagsabgeordneten Matthias Joseph Mehs und die Hausfrau Anna Schroden. Im Beschlussprotokoll wird vermerkt, dass Kölle nicht erschienen sei, da er die Zuständigkeit des hiesigen Untersuchungsausschusses bestreitet – nach seiner Einschätzung sei die britische Zone zuständig.10 Weil Kölle nachweislich enge Kontakte zu zwei Rechtsanwälten in Köln und Bonn unterhielt, muss davon ausgegangen werden, dass Kölle darüber informiert war, dass die Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen bereits zum 5.02.1952 abgeschlossen war und dass er darauf zielte, ohne Entnazifizierungsverfahren davon zu kommen. Dieser Nicht-Zuständigkeits-Behauptung Kölles schließt sich der Ausschuss in Koblenz nicht an, weil Kölle bis zum Jahre 1945 im Lande Rheinland/Pfalz ansässig war und im hiesigen Bezirke seine politische Tätigkeit ausgeübt hat11, und verhandelt in Abwesenheit des Betroffenen. Kölle wird in die Gruppe II der Belasteten eingestuft mit der Begründung, er habe sich als Kreisleiter voll und ganz für die Ziele der NSDAP aktivistisch eingesetzt und sich aktiv an der Judenaktion im November 1938 beteiligt.12

Ohne schon hier auf die Einzelheiten der Zeugenaussagen zu Kölles Rolle beim Pogrom 1938 einzugehen, kann festgehalten werden, dass alle Zeugen den ehemaligen Kreisleiter in dieser Sache schwer belasten. Aber auch Kölles Brief an die REVUE wird herangezogen: Danach steht es für den Untersuchungsausschuss außer Zweifel, daß der Betroffene auch heute noch der nazistischen Ideologie verhaftet ist. Auf die Verhängung von Sühnemaßnahmen verzichtet das Gremium zunächst, da gegen Kölle noch ein Strafverfahren wegen seiner Beteiligung an der Judenaktion anhängig ist.
Bei einer weiteren Verhandlung der Spruchkammer am 18.08.1952 ist Kölle anwesend. Zunächst muss er einen polit. Fragebogen ausfüllen. Dann erfolgt eine Befragung des ehemaligen Kreisleiters, die er offensichtlich nur mit Widerwillen hinnimmt, weil er bereits in seiner Niederschrift seine Einstellung zum Nationalsozialismus dargetan habe. Außerdem verweist er auf eine Reihe von Zeugnissen, die über mein Leben und Wirken als Kreisleiter Auskunft geben.
Zur Judensache erklärt Kölle auf Nachfragen des Vorsitzenden, er habe nur in Ausführung eines Befehls gehandelt, rechtliche Bedenken seien ihm nicht gekommen: Für mich ist die Durchführung eines Befehls auch in der Partei bindend gewesen. Wir haben als untere Parteileute die Rechtlichkeit des Befehls nicht zu prüfen gehabt und der oberen Führung vertraut. Ich stehe nicht an (sic!) zu sagen, dass die Judenaktion als solche gerecht war. Kölle gibt zwar zu, an der Spitze einer Gruppe in die Synagoge eingezogen zu sein, weil er hierzu einen Befehl bekommen hatte, aber er besteht auch darauf, diesen Befehl zunächst nicht ausgeführt zu haben, so dass er von Koblenz (Anm.: durch die Gauleitung) nochmals zur Durchführung dieses Befehls angewiesen worden ist. Erst daraufhin habe er seine Mitarbeiter auf die Kreisleitung gerufen und gleichzeitig den Ortsgruppenleiter beauftragt, weitere Parteigenossen auf den Marktplatz zu bestellen. Wir sind dann gemeinsam zur Synagoge gezogen. Wittlichs Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter Dr. Hürter hatte in einer Erklärung vom 1.07.1952 Wert darauf gelegt, etliche Meter hinter einer marschierenden SA-Kolonne, voran der Kreisleiter Kölle, sich in Richtung Synagoge bewegt zu haben, um damit die Führungsrolle des Kreisleiters zu unterstreichen.

Weiterhin äußert sich Kölle zu den Vorgängen in der Synagoge, nachdem er eingeräumt hatte, dass der Trupp mit Äxten und Knüppeln ausgerüstet war: Eine Synagoge ist mehr ein Betsaal (nackt und nüchtern), nicht zu vergleichen mit unseren Kirchen. Inwieweit irgendwelche Gegenstände zerstört oder abhanden gekommen sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Als ich die Synagoge betreten habe, war es ein leerer Raum, der fast keine Gegenstände aufzuweisen hatte. Vor meinem Einrücken waren auch schon andere Leute in die Synagoge eingedrungen. Diese sollen, wie ich später vernommen habe, ebenfalls Zerstörungshandlungen vorgenommen haben. Energisch weist er zurück, sich selbst an Zerstörungshandlungen beteiligt zu haben. In diesem Punkt will oder kann Dr. Hürter seinem ehemaligen, ranghöheren Parteigenossen nicht widersprechen.
Zum Vorwurf, er habe die Synagoge in Brand stecken wollen, erklärt Kölle: Dr. Hürter war mein Ortsgruppenleiter und ich hätte mich von ihm nicht hindern lassen, die Synagoge in Brand zu setzen, wenn ich dazu die Absicht gehabt hätte. Der Gedanke zur Anzündung der Synagoge ist mir jedoch nie gekommen. Damit weist Kölle entschieden zurück, was Dr. Hürter gegen ihn vorgebracht hatte: Kölle habe bei einer Versammlung auf dem Wittlicher Marktplatz angeordnet, die Synagoge in Brand zu setzen. Dr. Hürter wiederum hatte in seinem eigenen Entnazifizierungsverfahren 1948/49 stets behauptet, gerade diese Inbrandsetzung persönlich verhindert zu haben. Diese „Rettungsversion“ hatte für den ehemaligen Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter d i e entscheidende Entlastungsfunktion in seinem eigenen Spruchkammerverfahren 1948. Weiter gibt Kölle zu Protokoll: Ich hatte Auftrag, in die Synagoge einzudringen und nicht nur festzustellen, was zerstört war, sondern diese zu demolieren. Denn ich bin ja nicht dahin gegangen um zu beten. Diese zynische Bemerkung konnte sich der Ewiggestrige nicht verkneifen.13

Weitergehende Vorwürfe (z.B. Zerstörungen in jüdischen Wohnungen, Aktionen gegen Juden außerhalb Wittlichs) weist Kölle zurück und er will sich auch nicht an einen Befehl erinnern, dass die Juden im Alter von 18-65 Jahren in Haft zu nehmen sind.
Am Ende der Beweisaufnahme beantragt Kölle, die eingereichten Zeugnisse zu verlesen. Daraus würde sich ergeben, dass er auch vielen Menschen geholfen habe. Zu diesen zähle auch sein Hauptbelastungszeuge Bürgermeister Mehs. Der Vorsitzende sichert Kölle zu, dass sämtliche Unterlagen bei der Spruchfindung Berücksichtigung finden würden und auch eingehend während der Beratung erörtert würden.
Bevor schließlich der Säuberungsspruch verkündet wird, erhält Kölle noch einmal das Wort und er räumt erneut seine Beteiligung an der Judenaktion ein und gibt auch zu, Aktivist gewesen zu sein, allerdings mit dem ergänzenden Hinweis: Ich konnte leider die von mir angegebenen Entlastungszeugen nicht mehr erreichen, da die Frist bis zum Verhandlungstermin zu kurz war. Er bittet um milde Beurteilung.

Die Spruchkammer bleibt bei der Einstufung in Gruppe II der Belasteten und verhängt folgende Sühnemaßnahmen:

1. Verlust der Rechtsansprüche auf ein aus öffentlichen Mitteln zahlbares Ruhegehalt.

2. Dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung eines Amtes, auf Ausübung des Berufes eines Lehrers, Erziehers, Predigers, Verlegers, Redakteurs, Schriftstellers oder Rundfunkkommentators, ferner eines Notars oder Rechtsanwalts sowie zur Bekleidung eines Amtes in der Polizei, im Auswärtigen Dienst oder im höheren öffentlichen Dienst. Zudem muss Kölle die Verfahrenskosten zahlen.

In der Begründung der Spruchkammer spielt die Frage, ob Kölle die Brandstiftung der Synagoge beabsichtigt hatte oder nicht, keine Rolle ebenso die Frage, ob er sich selbst an den Zerstörungen beteiligt habe. Kölles Verhalten wird insgesamt als besonders verwerflich bezeichnet, weil in der Spruchkammerverhandlung festgestellt werden konnte, daß es sich bei dem Betroffenen um einen Mann handelt, der wohl Recht von Unrecht zu unterscheiden vermag.

Die Zerstörungen in der Wohnung Schroden – Kölle hatte vor dem Haus gestanden und vermutlich eine Liste mit jüdischen Häusern und Wohnungen in der Hand gehalten – sieht die Kammer als Beweis dafür, daß der Betroffene auch hier, wenn auch indirekt, an dieser Aktion beteiligt war.

Die Tatsache, dass Kölle noch heute von der Ideologie des Nationalsozialismus nicht frei ist, erklärt die im Punkt 2 erlassenen Sühnemaßnahmen. Insgesamt geht die Kammer davon aus, dass Kölle durch seine Tätigkeit die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wesentlich gefördert … und durch die Beteiligung an der Judenaktion eine gehässige Haltung gegenüber Gegnern der NSDAP eingenommen hat. Mildernd wirkt sich für Kölle aus, dass der Betroffene sich während seiner Tätigkeit Nichtparteigenossen gegenüber wohlwollend verhalten hat.

Das Niederschießen eines entlassenen russischen Kriegsgefangenen – wie es Kölles ehemaliger Fahrer später berichtet hatte – hätte vermutlich Kölles Einstufung kaum verschärft, waren in Rheinland-Pfalz doch lediglich fünf Personen in die höchste Gruppe der Hauptschuldigen eingeordnet worden.14 Für die ehemaligen Kreisleiter des Gaus Koblenz-Trier hat Beate Dorfey nachgewiesen, dass die meisten als Belastete eingestuft wurden, wobei es keine Rolle spielte, wann die Einstufung erfolgte.15 Ursprünglich vom öffentlichen Kläger in die oberste Belastungsgruppe eingestufte Kreisleiter wurden in neun Fällen durch den Säuberungsspruch heruntergestuft, so dass von insgesamt 19 Kreisleitern am Ende 14 in der Gruppe II gelandet sind, während nur vier – darunter Kölles Vorgänger, der Ürziger Winzer Fritz Loosen – zu den Minderbelasteten gezählt wurden.

Und doch ist Kölle durchaus glimpflich davon gekommen. Dabei hat sich für ihn das noch nicht abgeschlossene Strafverfahren vor dem Bonner Landgericht hinsichtlich der vom Säuberungsspruch verhängten Sühnemaßnahmen ebenso günstig ausgewirkt wie die im Jahre 1952 übliche Praxis der Spruchkammern. Er hätte durchaus härter bestraft werden können, wenn die früheren Sühnemaßnahmen für die Gruppe der Belasteten konsequent angewendet worden wären.16 Nicht zuletzt muss davon ausgegangen werden, dass für Kölles Säuberungsspruch die von ihm vorgelegten Leumundszeugnisse – im Volksmund „Persilscheine“ genannt – eine erhebliche Rolle gespielt haben, und zwar eindeutig zu Gunsten des ehemaligen Kreisleiters.



Vgl. DORFEY 2003, S. 353 (wie Anm. 18).


Der ehemalige Buchenwaldhäftling Eugen Kogon hatte sich im März 1947 im Auftrag des hessischen Sonderministers Binder für einige Tage ins Lager Darmstadt, in dem zu diesem Zeitpunkt 11.340 Internierte untergebracht waren, begeben und war bei aller berechtigten Kritik im Einzelnen zu dem Ergebnis gekommen, ‚daß die Gesamtverhältnisse im Lager nicht so entsetzlich sind, wie sie im Land vielfach dargestellt werden.’ (zit. nach FAIT 1988, S. 226, wie Anm. 24).


Ebd., S. 227. Zu den Internierungslagern im Gebiet von Rheinland-Pfalz unter französischer Militärverwaltung, vgl. Rainer MÖHLER, Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952. Mainz 1992, S. 383-393 (zit.: MÖHLER 1992). Zuletzt wurde im Dezember 1949 das Lager auf dem Trierer Petrisberg aufgelöst.


Vgl. Klaus MORITZ/ Ernst NOAM, NS-Verbrechen vor Gericht 1945-1955. Dokumente aus hessischen Justizakten. Hrsg. von der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen. Wiesbaden 1978, S. 13. (zit.: MORITZ/ NOAM 1978). Weitere Kritikpunkte waren: Überforderung der Spruchkammern auf Grund der zu breit angelegten Entnazifizierung („viele kleine Fische“) entsprechend der amerikanischen Vorgaben aus den Jahren 1944/45, häufiger Wechsel des Personals infolge von Eingriffen der Besatzungsbehörden, zu wenig Zeit für die Spruchkammern, belastendes Material herbeizuschaffen, stattdessen wurden die Kammern regelrecht überschwemmt mit „Persilscheinen“, deren Wahrheitsgehalt kaum überprüft werden konnte. Daher sieht Niethammer auch keine de facto-Umkehrung der Beweislast: Der eigentliche Beweis wurde demnach nur geführt, um zu zeigen, wie irrelevant der Tatbestand sei. (zit. nach: Lutz Niethammer, Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayern. Berlin 1982, S. 645).

5  
Zit. nach: http://www.verfassungen.de/de/bw/wuertt-b-befreiungsgesetz46.htm, S. 1f


MORITZ/ NOAM 1978, S. 14 (wie Anm. 79). Die Verfasser dokumentieren auch eine Umfrage in der deutschen Bevölkerung: Im März 1946 bewerteten noch 57 % der Befragten die Entnazifizierung positiv, im September 1947 waren es nur noch 32 % (ebd., S. 15). Vgl. zur Kritik an und der weit verbreiteten Aversion gegen die Verfahren als Folge einer viel zu breit angelegten Säuberung und der Bereitschaft breiter Bevölkerungskreise, Nazisünden kollektiv zu vergeben (FAIT 1988, S. 233, wie Anm. 24).


Dieter OBST, Die „Reichskristallnacht“ im Spiegel westdeutscher Nachkriegsprozeßakten und als Gegenstand der Strafverfolgung. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 44, Jg. 1993, S. 205-217, S. 209, zit.: OBST 1993).


Ebd., S. 15.


Vgl. MÖHLER 1992, S. 355f. (wie Anm. 78).

10 
Alle Zitate nach KÖLLE-SPRUCHKAMMER 1952 (wie Anm. 15). Die Nichtzuständigkeit der Koblenzer Spruchkammer hatte Kölle mit einem Schreiben vom 21.07.1952 an den Untersuchungsausschuss erklärt.

11 
Schreiben des NRW-Justizministers an den Innenminister in Mainz (LHA Ko, Bestand 856, Nr. 112 177).

12 
Zitat und nachfolgende Zitate nach KÖLLE-SPRUCHKAMMER 1952 (wie Anm. 15).

13 
Die Aussage von Kölle kann natürlich eine unwahre Schutzbehauptung sein. Und doch lohnt es sich, einerseits die Aussagen von Kreisleiter Kölle und andererseits die von Ortsgruppenleiter Dr. Hürter zur nicht „beabsichtigten“ bzw. „verhinderten“ Brandstiftung der Synagoge kritischer zu hinterfragen, als dies bisher in der lokalhistorischen Forschung Wittlichs der Fall war (vgl. hierzu weitere Hinweise in Anm. 128 dieser Untersuchung).

14 
Vgl. MÖHLER 1992, S. 356 (wie Anm. 78).

15 
Dorfey 2003, S. 376 (wie Anm. 18); dort auch die nachfolgend erwähnte Zuordnungstabelle.

16 
Nach der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 24.07.1947 waren folgende Sühnemaßnahmen in der französischen Zone möglich: Beschlagnahmung von mindestens 40 % des Vermögens, Geldbußen über RM 15.000, Pensionierung, Entlassung oder Berufsverbot. (vgl. MÖHLER 1992, S. 284f, wie Anm. 78).


 

Autor: Franz-Josef Schmit

Thema Zeitzeugen:  Hans Wax

Literatur

Franz-Josef Schmit,  Novemberpogrom 1938 in Wittlich, Trier Verlag, 2013